Seit 1959, empfindlich gestört durch Beschlagnahmungen während der NS-Zeit und die schwere Bombardierung zum Weltkriegsende, wird in Bielefeld wieder Kunst gesammelt, seit 1952 sogar mit eigenen Ankaufsmitteln. Den Anfang machten sinnigerweise „La douleur“ („Der Schmerz“) von Auguste Rodin, eine Marmorbüste aus der Zeit nach 1905, die dem wiederhergerichteten Städtischen Kunsthaus durch das Unternehmen Dr. August Oetker geschenkt wurde.
1952 folgte das 1911 gemalte „Stilleben mit Madonna“ von August Macke und 1955 die „Mutter mit spielendem Kind“ von Max Beckmann, ein Werk, das der vor den Nazis geflohene Künstler 1946 in den USA geschaffen hatte. Gustav Vriesen, der als erster hauptamtlicher Bielefelder Museumsdirektor ab 1954 tätig war, setzte mit dem Ankauf des Beckmann-Bildes seinen persönlichen Grundstein, nachdem die Firma Dr. August Oetker zwischenzeitlich auch Emil Noldes „Tropenwald“ von 1914 sowie Lovis Corinths „Walchensee mit Springbrunnen“ von 1923 und je ein weiteres Gemälde von Corinth und Karl Hofer gestiftet hatte.
Die Kunsthalle Bielefeld ist so in bescheidenem Umfang seit nahezu fünfzig Jahren ein Ort für das Sammeln klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst gewesen.
Mit Blick auf den 1968 eröffneten Neubau von Philip Johnson, wiederum eine Stiftung des Unternehmers Rudolf August Oetker, konnte Joachim von Moltke im Anschluss an den bereits 1960 verstorbenen Vriesen bis 1974 durchschnittlich ein bis zwei Hauptwerke pro Jahr für die Sammlung hinzugewinnen, und von 1974 bis 1994, in der Ära Ulrich Weisner, weitete sich das Feld in Richtung auf internationale Skulpturen und vor allem die deutsche Malerei der siebziger und achtziger Jahre aus.
Großartig sind die Werkgruppen zu Sonia und Robert Delaunay, eine weitere Leistung Vriesens noch aus den späten fünfziger Jahren, die dichte Gruppe zum deutschen Expressionismus, die bereits 1965 Werke von Heckel, Jawlensky, Kirchner, Mueller und Schmidt-Rottluff sowie weitere Bilder von Macke und Nolde umfaßte, und die Skulpturen von Archipenko, Freundlich, González, Laurens, Lipchitz und Moore neben dem großen „Denker“ von Rodin, der wie die meisten Bildhauerbeispiele, darunter auch eine siebenteilige Werkgruppe von Moltke, in der Zeit zwischen 1965 und 1970 erworben wurde.
Schon 1974 waren Neuerwerbungen der klassischen Moderne aufgrund der engen finanziellen Grenzen kaum mehr möglich. Beckmanns „Italienische Fantasie“ 1976 und der Rückkauf des von den Nazis beschlagnahmten “Sämanns“ von Christian Rohlfs durch den Förderkreis 1982 sind als Ausnahmen zu erwähnen
Die Werkgruppen und Einzelbilder der deutschen Maler Baselitz, Kiefer, Penck, Polke und Richter sowie Ankäufe eindruckvoller Beispiele von Kelly, Martin, Scully und Stella haben neben dem Engagement für Richard Serra das Sammeln der vergangenen fünfzehn Jahre geprägt. Dann kam ein jähes, glücklicherweise aber vorläufiges Ende, denn die Stadt Bielefeld stellte der Kunsthalle ab 1996 keine Ankaufmittel mehr zur Verfügung und wies zudem den sehr weit gediehenen Plan zurück, das Haus durch den Architekten Frank O. Gehry erweitern zu lassen. Dennoch gab es einige kleinere Ankäufe aus Restmitteln, von Louise Bourgeois, Michael Buthe, Peter Fischli/David Weiß und Hiroshi Sugimoto, neben einer Nolde-Graphik und einer Skulptur von Not Vital aus Mitteln des Förderkreises.
Eine neue Grundlage für Ankäufe ist mit der Umwandlung des städtischen Museums in eine gemeinnützige Betriebsgesellschaft ab 1. Oktober 1999 entstanden. Eine zweite Grundlage hat sich indirekt bereits 1997 durch das finanzielle Engagement der Staff Stiftung, Lemgo ergeben, die ihre Leihgaben für die Kunsthalle Bielefeld erworben und sie fortan der rechtlich neu verankerten Kunsthalle dauerhaft zur Verfügung stellen will.
In der Zeit der größten Not, das war im Herbst 1997, als die Stadt dem Haus alle disponiblen Gelder weggekürzt hatte, bekundete die Staff Stiftung die Absicht, bei der Versteigerung der Sammlung Hans Ravenborg bei Christie’s in London erhebliche Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Bielefelder Sammlung gezielt zu stärken. Im Vorfeld der Auktion wurde selbstverständlich auch nachgedacht, welche kunstgeschichtlichen Felder in naher Zukunft außerdem zu fördern sind. Der deutsche Expressionismus und die internationale Skulptur waren das eine, die zeitgenössische Kunst, die nach den Erwerbungen der Bilder von Baselitz und Kiefer spürbar weitergegangen war, das andere Gebiet. Zu bedenken gab es auch, daß wichtige Strömungen und Positionen der Kunst des 20. Jahrhunderts in der Sammlung kaum oder gar nicht vertreten waren.
Das Haus hatte unter Ulrich Weisner vier bedeutende Picasso-Ausstellungen, jedoch konnte es in diesem Zusammenhang keinen nennenswerten Ankauf tätigen. Das ist durch die Staff Stiftung 1998 in beachtlichem Umfang mit der „Suite des salimbanques“ und dem „Tête de fou“ nachgeholt worden, Werken Picassos aus der Zeit um 1905.
Die französische und russische Kunst, außer bei den Delaunays, war insgesamt kaum vertreten, der Surrealismus fehlte, und Pop Art wie Minimal Art, die bedeutendsten und folgenreichsten Erfindungen der Kunst der sechziger Jahre, hatten in einem Haus, das 1968 eröffnete, bislang keinen Platz gefunden. Es war bei dieser Bilanz schnell klar, daß man niemals alle Lücken würde schließen können. Die ersten Ankäufe für die Staff Stiftung basieren dennoch auf dem Abstecken eines recht weiten Horizonts. Edvard Munchs „Dorfstraße in Kragerø“ erlaubt in Bielefeld spät, ein Bild des Vaters der deutschen Expressionisten zu zeigen.
Man Rays „La Rue Ferou“ paraphrasiert sowohl den Dadaismus als auch den Surrealismus. Die Gruppe der „Yarns“ von Andy Warhol spannt einen humorvollen Bogen zwischen der New York School der fünfziger Jahre und der Pop Art der Achtziger Jahre. Sie bildet im Œuvre des amerikanischen Malers zudem eine große Einmaligkeit, Robert Longos Medien-Reise namens „Magellan“ und Matthew Barneys neosymbolistische Fotoserie zum Thema „Cremaster“ stehen für das in jedem aufgeschlossenen Museum unsicherste Sammelgebiet ein, das der wegweisenden Nachwuchskunst.
Munchs Beispiel steht im Kontext der Sammlung neben Macke, Manguin und den Delaunays. Historisch markiert das wohl 1912 entstandene Bild den damals vollzogenen Übergang von der französischen Moderne zum deutschen „Sonderbund“, einer wegweisenden Kölner Ausstellung, die die „Brücke“-Künstler zwar noch aussparte, dem norwegischen Vorbild in einer legendären Präsentation aber einen Raum mit 32 Bildern zugestand. Man Ray wiederum geht Verbindungen zu den magisch realistischen Werken Beckmanns und neuerdings einer ebenfalls von der Staff Stiftung erworbenen Bronze „Mon ami Pierrot“ von Max Ernst ein, die den Bereich Dada und Surrealismus ebenso wie die jüngst von Hans Arp hinzugekommene Reliefarbeit „Fleurmiroir“ verstärkt.
So wie Man Ray Amerikaner und Franzose war, waren Arp und Ernst sowohl Deutsche als auch Franzosen resp. Amerikaner. Arp, sagte der berühmte Basler Museumsmann Georg Schmidt einmal, sei vor allem ein Elsässer, also „Sowohl mit deutscher wie mit französischer Art“ verbunden, zugleich aber weder dem einen noch dem anderen wirklich verpflichtet. Schmiegsamkeit und Eigensinn, Toleranz gegenüber fremden Wesen und Beharrlichkeit im eigenen bleiben fürs erste auch denkbare Losungen für eine noch immer junge Bielefelder Sammlung, die vor allem weitermachen muß.
Der Staff Stiftung und hier insbesondere Walter Bergmeier ist zu danken, dass sie die Bielefelder Sammlung in nur drei Jahren großartig wie keine andere Quelle nach dem Unternehmen Dr. August Oetker bereichert hat.
Text aus dem Katalog „Von Arp zu Warhol“ (erschienen 1999) von Dr. Thomas Kellein, Leiter der Kunsthalle Bielefeld, zur Geschichte der Kunsthalle Bielefeld und deren Zusammenarbeit mit der Staff Stiftung.
Text aus dem Katalog „Von Arp zu Warhol“ (erschienen 1999) von Dr. Thomas Kellein, Leiter der Kunsthalle Bielefeld, zur Geschichte der Kunsthalle Bielefeld und deren Zusammenarbeit mit der Staff Stiftung
Fotos: Kunsthalle Bielefeld (7), Gerhard Milting (16)